„Was soll der Staat, was kann der Staat?“
Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen lud zu einer kommunalpolitisch interessanten Veranstaltung ein – hier der Bericht
Als wir den Titel unseres Fachgespräches zur Zukunft der kommunalen Daseinsvorsorge festgelegt haben, wussten wir noch nicht, dass genau diese Frage – Was soll der Staat, was kann der Staat? – im Oktober 2008 nicht nur die Bundesrepublik, sondern die gesamte Weltöffentlichkeit beschäftigen würde.
Tatsächlich war es von der Finanzmarktkrise zum Thema der Veranstaltung nur ein kleiner Schritt. Nicht nur, dass diese Finanzmarktkrise und ihre realwirtschaftlichen Folgen in absehbarer Zeit mit ganzer Wucht auf die Gemeindesteuern durchschlagen werden und nicht wenige Kommunen ihre Cross-Border-Leasing-Geschäfte teuer zu stehen kommen können. Auch bei der kommunalen Daseinsvorsorge macht seit vielen Jahren das Modewort der „Gewährleistungskommune“ die Runde.
Dahinter steht die Überlegung, dass die kommunale Selbstverwaltung zwar die Erfüllung ihrer Pflichtaufgaben verantwortet, aber die Leistungserbringung nach Möglichkeit Privaten überlässt. Zumindest sofern sie wirtschaftlich profitabel ist.
Genau diese Aufgabenteilung sieht sich aber zunehmender Kritik ausgesetzt, weil sie auf die Spitze getrieben das bedeutet, was wir gegenwärtig auf den Finanzmärkten erleben. Die modernen Goldgräber und Glückspieler an den Börsenplätzen dieser Welt haben sich verkalkuliert. Schwindelerregende Beträge wurden verzockt, und plötzlich ertönt der Ruf nach dem starken Staat: Bürgen, Teilverstaatlichen, Regulieren.
Es ist der alte Vorwurf von Privatisierungskritikern, wonach die Rolle des Staates als Gewährleister letztlich darauf hinausläuft, dass der Profit den Privaten zufällt und die öffentliche Hand das Risiko behalten darf. Ein solcher Eindruck ist verheerend für die Akzeptanz jeder sozialen marktwirtschaftlichen Ordnung, weil er die Demokratie als machtlos gegenüber dem Markt erscheinen lässt.
Auf kommunaler Ebene aber kennen wir nicht erst seit gestern den bedenklichen Trend, wonach politische Handlungsfähigkeit immer weiter eingeschränkt ist.
Wenn wir über die kommunale Daseinsvorsorge sprechen, dann berühren wir also zwangsläufig grundlegende Fragen:
Ist es eine gerechte Aufgabenverteilung, wenn die defizitären Bereiche der Daseinsvorsorge bei der öffentlichen Hand verbleiben und die Bereiche, in denen sich Geld verdienen lässt, privatisiert werden?
Kann es aber umgekehrt die Aufgabe des Staates sein, sich als Teilnehmer auf einem Markt mit Milliardenumsätzen einzubringen und damit auch in Konkurrenz zu mittelständischen Unternehmen zu treten beziehungsweise diese gar nicht erst auf dem Markt zuzulassen?
Besonders wichtig ist auch die Frage: Wie können wir in einer Zeit, in der die Sehnsucht nach dem viel beschworenen Primat der Politik immer größer wird, politische Steuerungsfähigkeit in der Kommune sicherstellen und teilweise überhaupt erst wieder herstellen?
Ist die Privatisierung grundsätzlich mit einem Verlust an politischer Steuerung und demokratischer Kontrolle verbunden? Oder ist alles nur eine Frage der richtigen Verträge?
Genau diese Fragen standen dann auch im Mittelpunkt des Fachgespräches.
Der Begriff der Daseinsvorsorge
Das Feld der Daseinsvorsorge wurde im historischen Verlauf immer wieder neu zugeschnitten und abgezäunt, wie mehrere ReferentInnen bemerkten. Dabei hing der Umfang der öffentlichen Dienstleistungen immer auch stark damit zusammen, wie groß die finanziellen Ressourcen der kommunalen Ebene waren. Abgesehen davon gilt es aber auch, die Aufgaben der Daseinsvorsorge vor dem Hintergrund der aktuellen politischen Herausforderungen zu definieren. So betonte die Referentin der Bertelsmann-Stiftung Dr. Kirsten Witte, dass der Begriff der Daseinsvorsorge in einer Wissensgesellschaft neu interpretiert werden müsse. Denn die Zukunftsfähigkeit entscheide sich nicht in erster Linie über die Preise von Wasser, Abwasser und Energie, sondern weit mehr an der Verfügbarkeit von Bildungsangeboten, so Witte. Hier müssten die knappen kommunalen Mittel effizient eingesetzt werden. Verbunden mit einer skeptischen Einschätzung hinsichtlich der finanziellen Ressourcen, die Städten und Gemeinden in Zukunft zur Verfügung stünden, plädierte sie deshalb dafür, die Frage der Aufgabenpriorisierung in der Daseinsvorsorge in der politischen Debatte verstärkt zu berücksichtigen.
Formen der Leistungserbringung
Bei der Erbringung öffentlicher Dienstleistungen gibt es zahlreiche Varianten, von der Eigenerbringung in unterschiedlichen Rechtsformen über interkommunale Zusammenarbeit in verschiedener Ausgestaltung, Öffentlich-Private Partnerschaften oder Ausschreibung und Vergabe an ein Privatunternehmen bis hin zum Verzicht auf die Aufgabenerledigung. Insbesondere Wolfgang Pohl von der Heinrich-Böll-Stiftung und Sven Giegold, Mitbegründer von attac, plädierten dafür, dass wir als Grüne auch den Dritten Sektor verstärkt in den Blick nehmen sollten. Gemischtwirtschaftliche Formen hätten mehr Aufmerksamkeit verdient, so Pohl. In vielen Bereichen sehe er erhebliche Potenziale für bürgerschaftliche, genossenschaftliche Formen, ein bisschen mehr Fantasie könne hier nicht schaden. Giegold unterstrich diese Position noch einmal aus Grüner Sicht: „Die Grünen sollten sich als die Partei des Dritten Sektors verstehen“.
Rechtsrahmen und politische Handlungsebenen
Vielfach thematisiert und problematisiert wurde im Laufe des Tages eine Entwicklung, die dazu geführt habe, dass die politischen Handlungsspielräume der Kommunen in der Daseinsvorsorge zunehmend eingeschränkt würden. Karin Opphard vom Verband Kommunale Abfallwirtschaft und Stadtreinigung nannte hier neben der einschlägigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes, der die Möglichkeit von Inhouse-Vergaben stark determiniert habe, auch das öffentliche Tarifrecht und die Gemeindeordnungen der Länder. Als besonders unglückliches Beispiel landespolitischer Rechtsetzung, insbesondere im Hinblick auf die wirtschaftliche Betätigung der Kommunen, klang dabei in verschiedenen Beiträgen die schwarz-gelbe Reform der Gemeindeordnung in Nordrhein-Westfalen an. Alexander Götz vom Institut für Staats- und Europawissenschaften fokussierte in seinem Beitrag darauf, dass Handlungsspielräume innerhalb des Nationalstaates in der Debatte gemeinhin unterschätzt würden. Zwar sah auch er die Notwendigkeit, im Europäischen Gemeinschaftsrecht die kommunale Selbstverwaltung aufzuwerten und die öffentliche Daseinsvorsorge abzusichern. Doch auch Bund, Länder und Kommunen selbst hätten erhebliche Möglichkeiten, um politische Gestaltungsspielräume in der Daseinsvorsorge zu erweitern.
Dies fange an bei der kommunalfreundlichen Umsetzung europarechtlicher Vorgaben in nationales Recht, die zudem auf eindeutige Zuständigkeitsverteilungen achte. Gleiches gelte für die Länder, die im Übrigen zu einer Rücknahme ordnungspolitischer Restriktionen im Kommunalrecht aufgerufen seien, beispielsweise hinsichtlich der wirtschaftlichen Betätigung. Außerdem sah Götz erhebliche Möglichkeiten, strukturelle Wettbewerbsfähigkeit kommunaler Leistungserbringung zu stärken, indem Verwaltungsstrukturen sich an wirtschaftlichen Betriebsgrößen orientierten (Gemeinde- und Kreisgebietsreformen als Stichwort).
Die Kommunen, so Götz weiter, bedürften dringend der Unterstützung durch die Aufsichtsbehörden der Länder, die nicht erst bei der Haushaltssicherung auf den Plan treten sollten, sondern beispielsweise auch bei der Beratung und Förderung von Interkommunaler Zusammenarbeit.
Innerhalb der Kommunen gelte es, stärker darauf zu orientieren, dass politische Strukturen in ihrer gegenwärtigen Form oft nicht geeignet seien, um wirtschaftlich sinnvoll zu handeln, und sich Privatisierungen oft vermeiden ließen, wenn man sich durch interkommunale Kooperation zusammenschließe. Auch dem Einsatz neuer Steuerungssysteme und Buchungssysteme (Stichwort Doppik) wies er eine hohe Bedeutung zu.
Die Grüne Europaabgeordnete Heide Rühle stimmte Götz in der Analyse zu, dass Deutschland seine Spielräume auf nationaler Ebene nicht ausschöpfe. Während die interkommunale Zusammenarbeit auf EU-Ebene seit Jahren diskutiert würde, gebe es beispielsweise immer noch Landesgesetze, die eine private Beteiligung bei der interkommunalen Zusammenarbeit zuließen. Dies ist jedoch nach Rechtsprechung des EuGH eindeutig nicht zulässig.
Die Versäumnisse der Bundesrepublik dürften aber auch nicht davon ablenken, dass die Strategie der EU-Kommission im Hinblick auf die Daseinsvorsorge kritikwürdig sei. In der Regel verfolge die Kommission ihre Ziele über Beschwerdeverfahren vor dem EuGH. Die EuGH-Urteile würde sie dann anschließend behandeln, als ob es sich um Gesetze handele. Rühle bedauerte, dass das Selbstverwaltungsrecht der Kommunen auf europäischer Ebene noch immer nicht abgesichert sei, so lange der EU-Reformvertrag auf Eis liege. Außerdem erneuerte die Grüne Politikerin ihre Forderung nach einer Rahmenrichtlinie zur Daseinsvorsorge. Das Verhältnis zwischen Wettbewerbsrecht und Daseinsvorsorge müsse endlich klargestellt werden. Sie hoffe diesbezüglich auch auf Bewegung beim Deutschen Städtetag. Die Strategie „Wenn wir uns nicht bewegen, tut man uns auch nichts“ habe sich nachweislich als erfolglos erwiesen.
Entwicklung der Daseinsvorsorge in den letzten Jahren
Insbesondere die 1990er Jahre waren, so stellten die ReferentInnen einmütig fest, von einer großen kommunalen Privatisierungswelle geprägt, die eine Ausdifferenzierung kommunaler Leistungserbringung mit sich brachte. Jens Libbe vom Deutschen Institut für Urbanistik sah verschiedene Ursachen für diese Entwicklung: Zum einen die Verwaltungsmodernisierung mit der Übernahme von Managementkonzepten aus der privaten Wirtschaft und der Ausgliederung von Dienstleistungen auf selbstständige Organisationshoheiten. Zum zweiten die Finanzkrise der Kommunen, die zum Verkauf von Beteiligungen und der verstärkten Einbindung privater Partner führte. Und zum dritten die Liberalisierungspolitik auf europäischer Ebene, die als Treiber für Privatisierungen gewirkt habe.
Dabei lässt sich jedoch feststellen, dass die Entwicklung in den verschiedenen Bereichen der Daseinsvorsorge durchaus unterschiedlich verläuft. Während bei der Energieversorgung die Liberalisierung sehr weit vorangeschritten ist, gibt es bei der Wasserversorgung in Deutschland einen weit reichenden Konsens, der von einer Marktöffnung hauptsächlich Nachteile erwartet. Problematisch wurde von vielen TeilnehmerInnen gesehen, dass Liberalisierungen vielerorts zur Bildung von Oligopolen geführt habe.
Es gibt vielerorts Rekommunalisierungsbestrebungen, von einem Trend zur Rekommunalisierung zu sprechen hielt die Mehrzahl der ReferentInnen jedoch für verfrüht. Sehr wohl hingegen lasse sich eine deutlich gestiegene Privatisierungsskepsis verzeichnen, die aus negativen Privatisierungserfahrungen der Vergangenheit resultiere.
Doch es gibt auch anderslautende Untersuchungen. So stellte Michael Janetschek von Ernst&Young die Ergebnisse einer Studie vor, nach der ein weit überwiegender Teil der Kommunen positive Bilanzen aus vergangenen Privatisierungen zieht. So beurteilten 87 Prozent der befragten Kommunen ihre eigene Privatisierungserfahrung als positiv. Eine Zahl, die ihn in der Einschätzung bestärke, dass Privatisierungen und Öffentlich Private Partnerschaften einen Beitrag dazu leisten könnten, um den enormen kommunalen Investitionsstau aufzulösen.
Die Mehrzahl der ReferentInnen hingegen problematisierten deutliche Konzentrationstendenzen in der Folge von Liberalisierungen, die Abfallwirtschaft ist dafür ein gutes Beispiel. Zudem, so Wolfgang Pohl, gebe es Hinweise darauf, dass Private im Schnitt weniger investierten und eher mit veralteten Anlagen und Geräten arbeiteten. Das Lohn- und Preisdumping in Teilbereichen komme als Problem noch hinzu. Karin Opphard brachte die Tendenzen zu Ökodumping und Sozialdumping auf die griffige Formel: „Der Shareholder Value überlagert immer mehr den Citizen Value.“ Empirische Untersuchungen der letzten Jahre haben deutlich gemacht, dass die Steuerungsfähigkeit der Kommunen gegenüber ihren Beteiligungsunternehmen ebenso wie gegenüber privaten Dritten von Seiten der Kommunalpolitik skeptisch gesehen und als defizitär beurteilt werden.
Alles nur eine Frage des Vertrages?
Sehr unterschiedlich wurde dabei von den ReferentInnen die gängige These beurteilt, wonach der Erfolg einer Privatisierung aus kommunaler Sicht im Wesentlichen davon abhänge, wie gut der Vertrag ausgehandelt worden sei. Dr. Kirsten Witte verteidigte diese These, nach ihrer Einschätzung hänge Erfolg oder Misserfolg einer Privatisierung zu 90 Prozent von der Qualität der Verträge ab.
Die Mehrzahl der ExpertInnen kam hier zu einem anderen Urteil. Karin Opphard zum Beispiel kommt vor dem Hintergrund ihrer Erfahrungen immer mehr zu dem Ergebnis, dass es „den perfekten Vertrag“ nicht gebe. Verträge haben zudem fast immer den Nachteil, dass sie wenig flexibel an neue politische Anforderungen angepasst werden können, ohne dass für die Kommune hierdurch erhebliche zusätzliche Kosten entstehen. Zudem erfordere die Kontrolle der Vertragserfüllung auf kommunaler Seite erhebliche Expertise. Die Notwendigkeit, Know How weiterhin bereitzustellen, kann gerade bei kleineren Gemeinden dazu führen, dass sich die Privatisierung einer Leistungserbringung nicht mehr rechnet.
Rekommunalisierung – Wirtschaftlichkeit als Hauptgrund
Ein Aspekt, der in der Debatte oft übersehen wird, ist, dass Kommunen aufgrund des Wirtschaftlichkeitsgebots ohnehin verpflichtet sind zu prüfen, ob eine Neuausschreibung oder die Durchführung in Eigenregie die wirtschaftlichere Alternative ist, wenn Verträge mit privaten Partnern auslaufen. Insofern steht die Frage nach einer Rekommunalisierung in vielen Kommunen auf der Tagesordnung.
Wirtschaftlichkeitserwägungen stehen demgemäß auch im Vordergrund, wenn eine Gemeinde sich dazu entschließt, eine Dienstleistung wieder in Eigenregie zu erbringen. Roland Schäfer vom NRW Städte- und Gemeindebund konnte dies für seine Gemeinde Bergkamen sehr anschaulich darlegen. Bis zu Beginn der 90er Jahre hatte die Gemeinde demnach viele Bereiche der Daseinsvorsorge privatisiert. Der Gründung von Gemeinschaftsstadtwerken 1994 folgten dann eine Reihe von Rekommunalisierungsentscheidungen, die erhebliche Kosteneinsparungen mit sich brachten. So ließt sich die Straßenreinigungsgebühr um 25 Prozent senken, die Müllgebühren wurden um insgesamt ca. 12 Prozent gesenkt.
Aber es gibt auch andere Gründe …
Neben der Wirtschaftlichkeitsrechnung gibt es jedoch auch noch andere Gründe, die für eine Rekommunalisierung sprechen können. Zum ersten der naheliegende Beweggrund, dass die Gemeinde mit der Qualität der privaten Leistung unzufrieden ist. Auch die Möglichkeit interkommunaler Kooperation kann ursprüngliche Kostenrechnungen in einem neuen Licht erscheinen lassen. Hinzu kommt möglicherweise noch die Überlegung, vorhandene Anlagen und vorhandenes Personal durch eine Rekommunalisierung besser auszulasten. Und auch der Zwang zur europaweiten Ausschreibung einer Leistung kann die Entscheidung zugunsten kommunaler Eigenerbringung befördern.
Besonders in den Mittelpunkt rückte Renate Sternatz von ver.di die Überlegung, dass zu einer umfassenden Wirtschaftlichkeitsbetrachtung auch die sozialen Folgekosten gehören. Wenn Privatisierungen mit Dumpinglöhnen einhergingen, würde die Gemeinde über Aufstockerleistungen letztlich den Profit des Privaten mit subventionieren. Dem entgegnete Dr. Kirsten Witte, dass Rekommunalisierung kein geeignetes Mittel der Beschäftigungspolitik sein könnte. Das Problem von Niedrigstlöhnen erfordere andere arbeitsmarktpolitische Lösungen, könne aber nicht sinnvollerweise durch eine grenzenlose Ausweitung des öffentlichen Sektors abgestellt werden.
Eine Rekommunalisierung, so Witte zusammenfassend, komme immer dann in Betracht, wenn Märkte nicht funktionieren würden, bei einer Privatisierung also eine Oligopolbildung zu erwarten wäre, wenn Verträge in der Vergangenheit schlecht verhandelt wurden oder sich die kommunale Lösung als wirtschaftlicher erweise.
Kommunale Lösungen sind kein Allheilmittel
Dr. Manuela Rottmann, Grüne Dezernentin für Gesundheit und Umwelt der Stadt Frankfurt am Main, wies in diesem Zusammenhang aber auch darauf hin, dass kommunale Lösungen ihrerseits nicht ohne Tücken seien. Privatisierungen seien in der Vergangenheit keineswegs nur aus finanzieller Not erfolgt, oftmals hätten sich kommunale Eigenbetriebe auch als strukturell reformunfähig erwiesen. Wettbewerb, so gab Rottmann zu bedenken, sei als Effizienzmotor nur schwer zu ersetzen. Zudem habe die kommunale Daseinsvorsorge in Eigenregie Entscheidungskompetenzen zunehmend weg von den Stadträten und hin zur Kommunalverwaltung und nicht öffentlichen Gremien der kommunalen Unternehmen verlagert (Anm. Die Grüne Bundestagsfraktion bringt deshalb in Kürze einen Antrag ein, der eine Änderung des GmbH-Rechts fordert, das bisher öffentlichen Aufsichtsratssitzungen kommunaler Unternehmen entgegensteht). Effizienzverbesserungen seien oftmals aufgrund des beschränkten Marktes deutliche Grenzen gesetzt. Zudem wies die Dezernentin auf die Gefahr hin, dass Öffentliche Unternehmen für Partikularinteressen missbraucht werden könnten.
Transparenz muss auch bei kommunalen Unternehmen verbessert werden
Gabriele C. Klug von Transparency international formulierte darüber hinaus zentrale Kriterien der Transparenz, die auch in der Kommunalverwaltung und bei kommunalen Unternehmen zu gelten hätten. Es gehe bei der Daseinsvorsorge um immense Summen. Deshalb sei es von besonderer Wichtigkeit, bei jeglicher Verwaltungsmodernisierung das Ziel der Korruptionsfreiheit mitzudenken.
So muss aus Sicht von Klug auch bei einer Privatisierung ebenso wie bei kommunaler Eigenerbringung Transparenz und Bürgerbeteiligung gewährleistet bleiben. Vieles, auch in Kommunalbetrieben, sei nicht mehr so geheim, wie viele gerne tun, merkte die Referentin mit Verweis auf einschlägige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes an.
Eine hohe Bedeutung maß sie auch der Offenlegung von Beteiligungen bei. Denn viele Stadtwerke seien längt in große Unternehmen eingegliedert – nicht überall, wo „Stadtwerke“ draufstünde, sei auch „Stadtwerke“ drin.
Auch die Transparenz bei der Vergabe hielt Gabriele Klug unverändert für erforderlich. Sie sprach sich dafür aus, das Vergaberecht weiterhin sehr ernst zu nehmen, und machte auf die Forderung von Transparency International nach einem Korruptionsregister aufmerksam. (Anm. Ein Punkt, den auch die Grüne Bundestagsfraktion in die Beratung der Vergabrechtsnovelle eingebracht hat.)
Darüber hinaus hielt die Referentin auch ein größeres Maß an Transparenz hinsichtlich politischer Zielsetzungen für erforderlich. Politische Ziele zu definieren sei selbstverständlich Aufgabe kommunaler Selbstverwaltung. Die Verwaltung müsse hier vielerorts noch umdenken.
Das fünfte Transparenzkriterium, dass Klug formulierte, galt der Wirtschaftlichkeit und Effizienz. Das geltende Haushaltsrecht verlange schon heute eine Wirtschaftlichkeitsprüfung, meinte auch sie. Dabei sei es nach ihrer Auffassung wichtig, nicht nur das „wie“ einer Finanzierung zu prüfen, sondern auch das „ob“, also ob eine investive Maßnahme überhaupt finanzierbar ist. Gerade im Hinblick auf ÖPP-Projekte hat dieser Punkt eine besondere Brisanz.
Markt oder Staat?
Die überwiegende Zahl der TeilnehmerInnen sprach sich in der Frage „Markt oder Staat“ für eine pragmatische Sichtweise und eine Entideologisierung aus. Die Fixierung auf die ordnungspolitische Grundsatzfrage würde oft davon ablenken, dass die Entscheidung für die Form der Leistungserbringung vom Einzelfall abhänge und sich die politischen Überlegungen deshalb auf Kriterien richten sollten, an denen diese Einzelfallentscheidung geprüft wird – vor allem Transparenz, demokratische Kontrolle und politische Steuerung müssen dabei besonders beachtet werden.
Doch auch grundsätzliche Privatisierungskritik hatte in der Debatte ihren Platz. Barbara Dickhaus von der Universität Kassel stellte in Frage, ob privatwirtschaftliche Profitlogik und das von ihr formulierte Prinzip, wonach Zugang und Kontrolle von öffentlichen Dienstleistungen ein Bürgerrecht in Demokratien seien, miteinander vereinbar wären. „Durch Privatisierungen erhalten private Unternehmen verstärkten Einfluss auf den Bereich der Dienstleistungserbringung, und zugleich werden die Spielräume für eine öffentliche, politisch definierte und demokratische Kontrolle eingeengt. Während sich die Profite aus der Erbringung öffentlicher Dienstleistungen zunehmend in den Kassen privater Anbieter akkumulieren, sehen sich Kommunen wachsenden Haushaltsdefiziten gegenüber. Letztendlich führen die Privatisierungsprozesse im Bereich öffentlicher Dienstleistungen daher zur Durchsetzung der Logik „Private Gain – Public Loss“!“
Politische Steuerungsfähigkeit im Mittelpunkt
Boris Palmer, Grüner Oberbürgermeister von Tübingen, brachte es auf den Punkt: „Was ist der Oberbürgermeister noch wert, wenn er bei allen Fragen, die ihm auf dem Marktplatz gestellt werden, auf private Unternehmen verweisen muss?“ Palmer verwies in seinen Ausführungen darauf, dass Gemeinden ihre Aufgabe, Identität und Zusammenhalt zu stiften, nur dann wahrnehmen könnten, wenn sie die wesentlichen Bereiche der kommunalen Daseinsvorsorge auch selbst regele. Von den Stadtwerken bis zur Wohnungsbaugesellschaft – die Organisation in Form von Eigenbetrieben mache die Stadtplanung erheblich einfacher.
Auch Jens Libbe vom DifU verwies auf den Zusammenhang zwischen kommunaler Daseinsvorsorge und Stadtentwicklung: „Die Frage der Zukunft der kommunalen Daseinsvorsorge ist mit der Frage verbunden, inwieweit es den Kommunen gelingt, Stadt- und Infrastrukturentwicklung als Teil eines Ganzen zu betrachten und Fragen der Infrastruktur als strategische Fragen der Stadtentwicklung zu behandeln.“
Wolfgang Pohl machte zudem darauf aufmerksam, dass es sich bei der Daseinsvorsorge meist um Felder mit hoher gesellschaftlicher, insbesondere auch ökologischer Bedeutung handele. Im Besonderen erinnerte er an die große Herausforderung einer wirksamen kommunalen Klimaschutzpolitik, die ein hohes Maß an strategischer Steuerung erfordere.
Unter den Grünen TeilnehmerInnen der Veranstaltung herrschte damit am Ende des Tages große Einigkeit darüber, dass Bündnis 90/Die Grünen die politische Steuerungsfähigkeit bei der Debatte um die kommunale Daseinsvorsorge in den Mittelpunkt stellen sollten.
Bericht: Britta Haßelmann MdB
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